Austherapiert

An einem Donnerstag gegen 9 Uhr. Ich finde Mutsch in ihrer Wohnung auf dem Boden liegend. Zwischen Küche und Wohnzimmer. Große Augen, wie ein unwissendes Kind. Ich helfe ihr in einen Stuhl und rufe den Palliativ Notdienst. Der Pfleger kommt und kümmert sich um sie. Dann packt er hektisch Medikamente um. Nimmt kleine Pillen aus ihrem Tageplaner und ergänzt andere Tabletten in ihren Planer. Dann sagt er, da hat wohl ein Kollege unpassende Medikamente gegeben. Ist aber wohl nicht das Problem. Sofort sammelt er alle Unterlagen und Dokumentationen ein und sagt, die würden dem Palliativpflegeteam gehören. Er telefoniert mit seiner Ärztin und die mit der behandelnden Onkologin. Ich soll Mutsch ins Krankenhaus fahren. Das Israelitische Krankenhaus ist das von den beiden Ärztinnen Erwählte. Ich fahre sie selbst mit meinen Wagen ins Krankenhaus. Das würde schneller gehen als mit dem Krankenwagen, sagt der Pfleger. Im Krankenhaus nimmt mich niemand ernst. Ganz im Gegenteil. Die Ärztin sagt, meine Mutter hätte offensichtlich einen Schlaganfall und ich hätte sie ins falsche Krankenhaus gebracht. Das wäre mein Fehler. Und sie würde jetzt einen Krankenwagen rufen.

Das Team vom Krankenwagen ist deutlich bemühter. Die Krankenhäuser in der Nähe hätten Aufnahmestopp. Ein Krankenhaus in Langenhorn hätte noch Platz. In der Notaufnahme macht man Tests. Sie kommt auf die Palliativstation. Es ist kein Schlaganfall. Knapp drei Wochen Palliativzimmer. Meine Frau und ich wechseln uns täglich bei den Besuchen ab. Ein Pfleger kümmert sich rührend. Zwischendurch Intensivstation. Mutsch hat ihren 86 Geburtstag im Palliativzimmer. Das Team der Intensivstation schmückt ihr Bett mit Ballons aus Einweghandschuhen und einem Straus aus Holzmundspateln. Die Werte werden schlechten. Dann der Anruf; ich soll schnell ins Krankenhaus kommen. Ich bin ohnehin im Wagen und auf dem Weg. Angekommen im Krankenhaus sagt mir eine distanzierte Ärztin: Austherapiert. Der mutierte Krebs habe gestreut. Suchen sie sich bitte ein Hospiz. Sie hat noch drei ruhige Tage im Hospiz und stirbt an einem Samstag gegen kurz vor Zwölf.

Nachgedanken
Wochen vor dem Donnerstag hatte meine Mutter in meiner Begleitung einen Termin bei ihrer Onkologin. Ihre Ärztin erklärte uns, der Krebs sei mutiert und sie werde nun bei der Krankenkasse ein weiteres Medikament für die Therapie meiner Mutter beantragen.

Tage nach dem Samstag meldet sich die Krankenkasse schriftlich, um mitzuteilen, man werde noch einige Wochen zur Prüfung des Antrages brauchen. Ich habe dann die Krankenkasse über das Ableben meiner Mutter informiert.